Ich und mein Körper


Die Freundschaft mit dem eigenen Körper und psychosomatische Schmerzen

Der Körper kann sich über psychosomatische Schmerzen „sprachlich“ ausdrücken und das hat für den Menschen sehr oft einen lebenserhaltenden Sinn.

Wenn man jemanden sagen hört: „Mein Körper gehorcht mir nicht, er versagt mir seine  Dienste, er lässt mich im Stich“, so klingt das nicht gerade freundschaftlich. Solche Redensarten bilden aber eine Realität ab, die wir alle ken­nen. Wir haben etwas vor, aber der Körper wird krank, verweigert sich. Migränepatienten kennen das sehr gut. Sie trauen sich kaum, etwas zu planen, weil sie schon voraussehen, dass ihnen ihr Kopf einen Strich durch die Rechnung machen wird. Patien­ten mit chronischen Symptomen wie Rückenschmerzen, Hautaus­schlägen, Magen-Darm-Störun­gen oder Kreislaufproblemen schränken ihr Leben oft weitge­hend ein, damit das Symptom keine Gelegenheit erhalten soll, sie zu stören.

Da sind zum Beispiel Schmerzen, die einem den Theaterbesuch vermasseln, eine Enge in der Brust und Atembeschwerden, die einen vom Einkaufsbummel nach Hause treiben, oder bleierne Mü­digkeit, die einen beim Betreten der eigenen vier Wände überfällt, sodass man sich sofort hinlegen muss. Für den Rest des Abends geht dann nichts mehr. Es ist im­mer der Körper, der da nicht mehr mitspielt, denn man selbst hatte ja noch so viel vor.

An dieser Stelle ist es nützlich, sich klarzumachen, dass wir hier von zweien reden, wenn wir sa­gen: „Ich und mein Körper“, und dass es ebenfalls nützlich ist zu fragen: „Wer lässt da wen im Stich? Wer behindert wen? Wer soll da wem gehorchen?“ Würden wir auch umgekehrt sagen: „Ich habe meinen Körper im Stich ge­lassen, ich habe ihm meine Dienste versagt, ihm nicht ge­horcht, ihn tyrannisiert?“ Nein. Wir sagen, und zwar mit Genugtuung: „Ich fordere meinen Körper“, zum Beispiel wenn ich Sport betreibe, „ich beanspruche ihn, ich ver­lange ihm etwas ab, ich habe eine gute Körperbeherrschung“.

Ist das nicht wie ein Herrschafts­verhältnis, eines von Herr und Knecht? So etwas wie Leibeigen­schaft, was man weniger freund­lich auch Sklaverei nennen könnte. Natürlich sind wir dabei gute Herren, die ihren Körper pflegen, nähren und schützen, ihn auch trainieren, damit er uns weiter zu Diensten ist. Wir ziehen ihm auch etwas Ordentliches an und frisieren ihm die Haare, damit wir uns draußen mit ihm sehen lassen können.

Es stellt sich aber die Frage, ob der Körper möglicherweise eigene Rechte hat, die er beansprucht, die er einfordert und auf die er bisweilen sehr beharrlich hinweist – mit einem Symptom. Wenn so ein Symptom nicht so störend wäre, dann würden wir uns in un­seren täglichen Verrichtungen und Vorhaben nicht unterbrechen lassen, würden es gar nicht zur Kenntnis nehmen. Deshalb bleibt dem Körper oft gar nichts anderes übrig, als sehr deutlich zu werden, wenn sein Besitzer auf die kleinen Signale nicht hören will.

Dominanz und Zwang schaffen auf Dauer keine gedeihliche Beziehung.

Es liegt auf der Hand, dass eine Beziehung, die von Dominanz und Zwang beherrscht ist, keine leichte und befriedigende sein kann – für beide Seiten. Wenn ich meinen Körper zwinge, wach zu bleiben, wenn er schlafen will, wenn ich ihm nichts zu essen gebe, wenn er hungrig ist, wenn ich ihn nach verregneten Tagen nicht an die frische Luft lasse, wenn er mit geradem Rücken stundenlang in der Schule sitzen muss und lieber raus will, wenn ich ihn trainiere, obwohl er lieber faul sein will, oder umgekehrt, wenn er lieber Sport treiben will, obwohl ich lernen muss, wenn ihm die Augen zufallen, obwohl ich doch am Computer sitze und ein Buch schreibe, dann stellt sich die Frage: Wer setzt sich durch? Die Antwort ist: Kurzfristig ich, langfristig er. Eine weitere Frage ist nun: „Höre ich, was der Körper fordert? Gebe ich ihm, was er braucht? Oder unterdrücke ich seine Forderungen und setze mich durch?“ Dann wird er lang­fristig der Stärkere sein und mir mit seinen Störungen mein Wohl­befinden zerstören.

Der Körper sollte mit seinem „Besitzer“ doch gern zusammenleben.

Welche Art von Beziehung zwi­schen einer Person und ihrem Körper könnte für beide Seiten von Nutzen sein? Welcher Um­gang miteinander wäre so ge­deihlich, dass ein Körper gern mit seinem „Besitzer“ zusammenlebt, dass sich beide aneinander freuen können oder sich wenigs­tens nachsichtig tolerieren, und dass er nicht eines Tages seine Dienste aufkündigt, wenn ihm das Leben mit „ihm“ oder „ihr“ zu an­strengend oder zu unerfreulich geworden ist?

Die meisten Körper leben mit ih­ren Besitzern im Laufe eines Le­bens mehr oder weniger gedeih­lich zusammen. Wie kann das gehen? Nun, zuallererst zeichnet sich eine gute Beziehung durch gegenseitigen Respekt aus, durch Achtung für die besondere Art des Gegenübers. Das ist, bezogen auf den Körper, oft gar nicht einfach: Man hat ihn sich, anders als den Ehepartner, schließlich nicht auswählen können. Im Übrigen entpuppen sich beide erst mit der Zeit und besonders mit zuneh­mendem  Alter. Aber gibt einem das die Berechtigung, an ihm herumzumäkeln? Dass seine Beine zu dünn sind oder zu kurz, sein Bauch zu dick, die Nase zu lang, die Ohren zu groß? Ich habe mir sagen lassen, dass es sehr wenige junge Frauen gibt, die mit „sich“, gemeint sind hier ihr Kör­per und dessen Erscheinungsbild, ganz zufrieden sind. Wenn man älter wird, scheint man großzügi­ger zu werden. Man legt den Ge­danken, ganz zufrieden sein zu wollen, ad acta. Aber wenigstens normal soll er sein! Oder wenn schon nicht normal, dann we­nigstens außergewöhnlich! Etwas zum Herzeigen. Wie sehr solche Gedanken vom Zeitgeist, von den Medien und von der sozialen Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, bestimmt werden, muss man nicht eigens betonen.

Es gibt natürlich auch menschli­che Körper, die berechtigte Ein­wände provozieren. Ich gebe je­doch zu bedenken, dass ein Kind, das behindert auf die Welt kommt, von seinen Eltern oft ganz beson­ders geliebt wird. Vielleicht ge­rade deshalb, weil diese Eltern gemerkt haben, dass dieses un­vollkommene und behinderte We­sen besonders bedürftig ist und viel Liebe braucht, um ein zufrie­dener Mensch zu werden. Es könnte auch sein, dass ein sehr unvollkommener, vielleicht sogar hässlicher Körper von seinem Be­sitzer besonders liebevoll ange­nommen werden muss, damit er gesund bleiben kann.

Aber kehren wir zurück zu einem Körper, der leidlich akzeptabel aussieht und mit dem man nor­malerweise gemütlich durch die Gegend gehen kann. Es ist eine Art von Selbstverständlichkeit, die uns davon abhält zu bemerken, was für ein Künstler unser Körper ist und mit welch komplexen Auf­gaben er fortwährend befasst ist – Funktionszusammenhänge, die wir noch nicht einmal richtig ver­stehen. Sogar Wunden und in­nere Erkrankungen heilen kann er. Es ist der Mühe wert, sich einmal ordentlich mit dem Brot­messer in den Finger zu schnei­den und danach zu beobachten, wie der Körper den Schnitt wieder verschließt. Eine gewisse Hoch­achtung erscheint mir angebracht.

Wenn eine meiner Patientinnen sagt: „Ich achte auf meine Ver­dauung“, frage ich zurück: „Wie machen Sie das denn?“ Dann stellt sich meist heraus, dass sie nicht das tut, was ich vermute, nämlich achtsam sein und das Ergebnis bewundern, sondern dass sie nachhilft. Weil sie ihrem Körper nicht zutraut, dass er es kann. Beim Einschlafen ist es ge­nauso: Der Körper bekommt eine Hilfe in Form eines Schlafmittels. Wen wundert es, dass der Körper sehr bald sagt: „Bitte sehr, wenn sie es besser kann, soll sie sich doch darum kümmern!“

So ähnlich ist es, wenn die Mutter ihren Sohn jeden Tag fragt: „Hast du deine Hausübungen ge­macht?“ Demnach hält der Sohn zu Recht die Mutter dafür verant­wortlich, dass er es nicht vergisst. Und wenn er vergisst, sie zu ma­chen, so ist sie daran Schuld.
Es wäre gut, sich auch einmal die Frage zu stellen, ob es denn überhaupt irgendwann einmal ge­klappt hat, um zumindest sicher sein zu können, dass der andere, der eigene Körper oder der eigene Sohn, dazu prinzipiell im­stande ist. Dass dem Körper er­laubt sein sollte, ungestört und bei angemessener Wertschätzung seine Funktionen zu erledigen, ist schon aus Gründen der Rezipro­zität, d. h. der Gegenseitigkeit, wünschenswert. Wenn wir einen Vortrag halten müssen und plötz­lich heillos heiser sind oder ganz ohne Stimme, wissen wir, was das heißt: Er lässt uns im Stich.

Das heißt aber auch: Wir brau­chen gegenseitig die Hilfe des anderen. Wir sollten ihm Ruhe, Nahrung und Flüssigkeit geben, wenn er danach verlangt, und ein paar andere hübsche Dinge noch dazu. Und zwar genau die Ruhe, die Nahrung, die Flüssigkeit und die paar anderen Dinge, die er auch schätzt. Er wird es Ihnen nicht auf Dauer danken, wenn Sie Ernährungsbücher wälzen und ihn nur noch mit Dingen füttern, die „gesund“ sind, ohne ihn zu fragen, ob er die denn auch gerne isst. Beides sollten Sie tun. Letzteres ist wichtiger.

Fragen wir unseren Körper auch hin und wieder, wie es ihm denn so geht.

Das Nachfragen gilt auch für die Ruhe, für die Erholung, für die Bewegung und den Sport. Sie können zwar entscheiden, ob et­was gesund ist, Sie können auch feststellen, ob Sie es mögen, aber ob er es auch mag, danach soll­ten Sie ihn fragen. Höflicherweise, möglicherweise sogar aus echtem Interesse, fragt man seinen Be­ziehungspartner auch hin und wieder einmal, wie es ihm denn so geht. Das ist die beste Mög­lichkeit, dem Körper zu versi­chern, dass man gewillt ist, auf ihn zu hören.

Wenn es ihm aber schlecht geht, dann soll er klagen dürfen und wir sollten ihm zuhören. Vielleicht müssen wir ihm gar nicht (gleich) helfen. Vielleicht will er nur ange­hört werden. Vielleicht genügt es, sich hinzulegen, ihm Ruhe zu ge­ben, ihm ein Halstuch umzubin­den und ihn zu fragen, ob er gern einen heißen Kakao hätte. Es lohnt sich aber auch, darauf zu achten, was er sagt, wenn es ihm gut geht. Oder zu fragen: „Geht es uns gut miteinander?“ Vermut­lich würde er dann eher einmal den Mut haben zu sagen: „Nicht so ganz, ich hätte da einen Vor­schlag zu machen. Ich ginge ganz gern in die Sauna.“ Oder: „Meinst du nicht, wir könnten wieder ein­mal Wandern oder uns we­nigstens ein bisschen mehr be­wegen?“

Falls sich Ihr Körper jedoch feind­selig benimmt, Sie quält oder so tut, als wären Sie gar nicht da, wenn er und damit auch Sie ein wirkliches Problem haben, dann kommt es auf gute „Teamarbeit“ an. Vielleicht ist gelegentlich auch Hilfe von außen sinnvoll z.B. durch einen Arzt, durch eine pflegende Person oder manchmal auch durch einen guten Gesprächspartner, einen Philosophen.





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